Die Fürstäbtliche Residenz Kempten – vom Fürstensitz zum
Justizpalast
Die barocke Klosteranlage der Fürstäbtlichen Residenz in Kempten bildet
zusammen mit der Basilika St. Lorenz das Zentrum der Stiftsstadt, das
Ensemble wird umrahmt von dem zugehörigen Hofgarten, dem Residenzplatz und
der Stiftskirche auf dem Hildegardplatz. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges
entstand mit der Kemptener Residenz der erste bedeutende Klosterkomplex
Deutschlands im 17. Jahrhundert; Architektur und Ausstattung waren
richtungsweisend für spätere Bauvorhaben, weshalb die Residenz zu den
bedeutendsten Bauwerken im süddeutschen Rokoko gehört. Gleichzeitig mit der
vierflügeligen Klosteranlage wurde an ihrer Westseite die Kirche St. Lorenz
errichtet, ein Sakristeianbau bildet die direkte Verbindung zwischen
Residenz und Pfarrkirche.
Auftraggeber für den Gebäudekomplex waren die Fürstäbte
der Familien Giel von Gielsberg und Reichlin von Meldegg. Als
verantwortliche Baumeister wurden der Vorarlberger Michael Beer und
später der Architekt Johann Serro aus Graubünden verpflichtet; die
prunkvolle Innenausstattung übernahmen der Hofbildhauer Egid Verhelst
und Johann Georg Üblher aus der Wessobrunner Schule. Nach der
Fertigstellung diente der Gebäudekomplex in zwei getrennten Bereichen
als Fürstensitz und Klosterkonvent; ab der Säkularisation 1803 erfolgte
bis zum Jahr 1945 eine Nutzung als Militärkaserne, die anschließend zum
Justizgebäude umgebaut wurde. Seit 1952 können neben dem Wappen- und
Fürstensaal auch die anderen Prunkräume der früheren Fürstäbte von der
Öffentlichkeit besichtigt werden.
Bei dem
Standort der Residenz handelt es sich um ein altes Siedlungsgelände,
denn bereits in der Mitte des 8. Jahrhunderts befand sich hier ein
Kloster der Karolinger. Nach dessen Untergang wurde auf dem Platz ab
1225 durch Benediktiner eine mittelalterliche Klosteranlage mit einer
romanischen, dreischiffigen Basilika erbaut; im Dreißigjährigen Krieg
zerstörten Schweden den gesamten Komplex, die Ruinen wurden nach
Kriegsende vollständig abgetragen.
Die ersten Pläne für die
Errichtung neuer Kirchen- und Klostergebäude entstanden 1648,
nachdem Roman Giel von Gielsberg als herrschender Fürstabt einen
Wiederaufbau am bisherigen Standort beschlossen hatte. Der Baubeginn
für den gewaltigen Klosterkomplex erfolgte im Jahr 1651; nach zehn
Jahren waren die Flügel des östlichen Hofes und der mittlere
Quertrakt fertiggestellt, 1661-64 folgten die Trakte um den
westlichen Hof und Teile der Innenausstattung. Von 1665-68 wurden
unter Beer errichtete Gebäudeteile von Serro wieder abgebrochen und
die Ecktürme vollendet. Fürstabt von Gielsberg nahm 1668 seine neuen
Räume in Besitz, der Konvent bezog 1674 den westlichen Neubau auf
der Kirchenseite. Die 1670 erbaute Hildegardkapelle im Zentrum des
Osthofes wurde 1804 nach der Säkularisation zerstört. Als letzte
Baumaßnahme ließ Fürstabt Anselm Reichlin von Meldegg ab 1732
mehrere Zimmer zu Prunkräumen für seinen Herrschaftssitz
umgestalten.
Die viergeschossige Residenz weist einen rechteckigen Grundriss von
145x43 m auf. Durch den Quertrakt mit einem Zwerchhaus entstehen der
Ost- oder Konventhof und der größere westliche Hof. Der etwas
unsymmetrische Gesamteindruck ist auf den Wechsel der Baumeister und
nachträgliche Planänderungen des Bauherren zurückzuführen. Die
quadratischen Ecktürme werden von niedrigen, achteckigen Aufbauten
mit gedrückten Hauben abgeschlossen. Neben den Fensterreihen betonen
Halbsäulen, Pilaster und Arkaden die Gliederung der Fassaden; der
Zugang zum Gebäude erfolgt über den Eingangsbereich an der
Südfassade, das ursprüngliche Eingangsportal befand sich an der
Nordfront zum Hofgarten. Die Innenräume sind mit Malereien,
Skulpturen und Stuckarbeiten äußerst aufwändig ausgestattet, die
Originalmöblierung ist jedoch bis auf wenige Stücke nicht mehr
vorhanden. Die größten Prunkräume bilden Thron-, Fürsten- und
Wappensaal, die teilweise über eineinhalb Stockwerke reichen.
Fürstäbtliche Repräsentationsräume stellen Kanzlei, Vorsaal und
Audienzzimmer dar, zu den Privaträumen gehören Tag- und
Schlafzimmer. In den einfacheren Gästezimmern im Konventbau werden
heute teilweise Gerichtsverhandlungen abgehalten – Rechtsprechung im
Rokoko.